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48  Kunst KULTUR
               WERBUNG
       ... bin Zeichner!
                                                                 Kulturell

                                                                 betrachtet


                                              Steiners jüngste   Freiheit im                                       Andreas Reichebner
                                              Zeichnungen        Denken
                                              setzen sich mit    Wie immens wichtig es ist, sich
                                              der Schönheit des   konsequent und permanent mit kulturellen
                                              Verfallenen, mit   und künstlerischen Positionen auseinanderzusetzen
                                              der Zurückerobe-   und sich mit anderen, von tiefsinnigen und nachdenk-
                                              rung der Natur     lichen Menschen eingenommenen Blickwinkeln zu
                                              auseinander. Ist es   beschäftigen, beweist das Landestheater NÖ mit Nikolai
                                              nun Kunst- oder    Gogols „Der Revisor“, einem Stück über die Nieder-  Foto: Christa Reichebner
                                              Naturdenkmal?      tracht und Verlogenheit in Politik und Bürokratie, über
                                                                 Mauschelei und Korruption. Bei so einem Theaterbe-
                                              bedingt realistisch”   such kann man seine Sensibilität bezüglich negativer
                                              darstellen.  Dazu  gesellschaftlicher Umwälzungen und der Verwilderung
                                              begibt er sich visu-  politischer Sprache intensivieren. Man schult wieder sei-
                                              ell in die Vogelpers-  ne Hellhörigkeit, bekommt politische und oft allzu mensch-
                                              pektive, bislang war   liche Gesellschaftsmechanismen durch eine clowneske,
                                              sein zeichnerischer   aber dadurch viel eindringlichere, die Wahrheit ans Licht
                                              Blick nach oben ge-  bringende Inszenierung, übrigens von Sandy Lopicic,
                                              richtet. Autos wer-  wieder sehr direkt und spannend vor Augen geführt. Nur
        Seine Frau Michaela ist Norbert Steiner „eine   den dabei, wenn   allein, man muss sich diesem Angebot stellen, denn kri-
        Vebündete”, die ihm bei allen künstlerischen   überhaupt, eher die   tisches Denken ist in diesen Tagen eine Forderung der Zeit.
        und kulturellen Aktivitäten unterstüzt.  Rolle des Überflüssi-  Wie hat Arik Brauer in seiner Rede beim Gedenkakt der
                                            gen spielen, denn eine   Bundesregierung zum Ende des NS-Regimes so schön
        ...  bürokratische  Strukturen  auf.  Seine   Vision  Steiners  für   gesagt, „Und glücklich die Bevölkerung, die eine Regie-
        verkarsteten Hochhäuser sind einerseits   St. Pölten wäre, „die   rung hat, wo Menschen sind, hoffentlich, die imstande
        Symbole architektonischen Größen-   Promenade einspurig   sind, mit Geduld und mit Freude, die Kritik und Kontrolle
        wahns, andererseits können sie auch   wie den Ring in Wien   der Öffentlichkeit zu ertragen“.
        mit Luftballons zum Schweben gebracht   in einer Richtung zu   Aber dazu braucht es auch eine Bevölkerung, die sich
        werden. Steiners  zeichnerische Exponate   führen und einige Er-  mit relevanten Themen auch abseits der Oberfläche
        sind immer untrennbar verbunden mit   lebnisstraßen.” Dazu   befassen will, die sich nicht von Algorithmen digitaler
        seiner beruflichen Arbeit, Zeugen seiner   gehört auch ein auto-  Medien ihre Nachrichten aufdrängen lässt und sich
        unmittelbaren Gedanken.             freier Domplatz. Wie   dieser Meinungseinengung widersetzt. Auch bei vielen
        Seine jüngsten Arbeiten beschäftigen   sich der entwickelt,   jungen, durchaus gebildeten Menschen, vielen meiner
        sich mit dem Verfall, dem Morbiden in   weiß noch keiner ge-  SchülerInnen, beobachte ich in letzter Zeit, ein Fehlen
        der, meist bäuerlichen, Architektur.  nau, aber dass dies   der Freiheit des Denkens und des interessierten Beo-
        Aber Steiner wäre nicht Steiner, wenn er   Norbert Steiner in sei-  bachtens, die sich nur ergeben kann, wenn man unter-
        nicht schon ein nächstes Zeichen-Projekt   nen Exponaten nicht   schiedliche Positionen zu einem Thema beleuchtet, und
        verfolgen würde. „Ich will jetzt nicht   nur zeichnerisch be-  sich nicht gleich zufrieden gibt, mit dem erstbesten, von
        mehr nur Objekte und Fassaden, son-  obachten wird, davon   seinem Smartphone vorgeschlagenen Artikel.
        dern auch städtische Räume,  Plätze, und   wird  man  ausgehen   Dagegen kann Theater auch helfen.
        vor allem deren Atmosphäre, „nicht un-  dürfen.

         Auf der Suche nach unseren menschlichen Werten



         Auf die Spur gesellschaftlicher Modelle macht   Lädt nicht jeder Schuld auf sich? Bei „Ödipus“   Böse verwischen, während Paulus Hochgat-
         sich  das  Landestheater  NÖ  in  der  zweiten   und „Antigone“ von Sophokles, genauso wie   terers „Der Tag, an dem mein Großvater ein
         Spielzeit  unter  der  Leitung  von  Marie  Röt-  bei Elfriede Jelineks jüngstem Stück „Am Kö-  Held war“, von Zivilcourage und Heldenmut
         zer. Gestärkt durch eine Auslastung von 88   nigsweg“, wo sie Donald Trump und Ödipus als   in den letzten Kriegstagen erzählt. Ein Homo
         %, übrigens der höchsten seit Gründung des   Herrscher ohne Orientierung skizziert, geht es   Deus wird in der „Frankenstein-Komödie“ auf
         Landestheaters im Jahre 2005, werfen  viele   um Demokratie und ihre Verwundbarkeit.   absurd wahnwitzige Weise erschaffen.
         Stücke die Frage nach dem Bösen und Guten   Auch an Komödien, ist doch Witz eine treff-  Mitmachen ist auch wieder die Devise,  die
         im Menschen, nach ethischen Kategorien,   liche Möglichkeit, menschliche und gesell-  Performancegruppe Rimini Protokoll spielt
         nach unseren Werten und ihrer Veränderung,   schaftliche  Unzulänglichkeiten  zu  entlarven,   im Wohnzimmer und das Bürgertheater wird
         auf.  Den  Anfang  wird  Bertolt  Brechts  „Der   wird es nicht mangeln. So nimmt Eugène La-  mit „Kinder des Olymp“ zum ersten Mal im
         gute Mensch von Sezuan“ machen, in dem die   biche  bei  „Um  die  Wette“  unser  Statusden-  Großen  Haus  auftreten.  Hochkarätige  Gast-
         Götter nach einem feinen Charakter suchen.   ken auf den Arm. Kabarettistische Texte und   spiele,  Jugendtheater,  Lesungen  und  vieles
         Auch Thema bei Franz Molnárs großartigem   Lieder von Helmut Qualtinger in „Quasi Jeder-  andere mehr, immer im Fokus eines enga-
         Stück über die Praterlegende „Liliom“.   mann“ lassen die Grenzen zwischen Gut und   gierten Denkens über das Mensch-Sein.
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